Tobias swap_horiz

Wenn ich meine Lebensgeschichte von meiner Kindheit an betrachte, dann könnte ich sie in etwa mit der Überschrift „mein Weg aus der Isolation in die Gemeinschaft“ betiteln. Diese Geschichte ist auch gekennzeichnet vom Erwachen expliziter homosexueller Empfindungen in mir. Diese drücken sich vor allem im Begehren jüngerer Männer aus, die ein gewisses Schönheitsideal verkörpern. Ich habe aber erkannt, dass dahinter das unerfüllbare Verlangen steht, genauso attraktiv sein zu wollen wie sie, weshalb ich mich ständig mit ihnen vergleiche und versuche, etwas von ihrer Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erhaschen. Damit befördere ich aber nur das Gefühl, als Mann abgelehnt und unattraktiv zu sein, was ich überdeutlich in mir wahrnehme. Somit ist meine Antwort auf diese Gefühlslage auch nicht die gelebte Homosexualität. Vielmehr habe ich für mich einen besseren Umgang mit diesen Empfindungen gefunden, nämlich das Aufbrechen in authentische und heilende Gemeinschaft, was mir wiederum hilft, mich als der Mann, der ich bin, mit all seinen Makeln zu akzeptieren und wohl zu fühlen. Wie sich mein Leben durch diesen Weg, den ich seit einigen Jahren nun gehe, entscheidend gewendet hat, möchte ich anhand einiger Lebensstationen zeugnishaft aufzeigen.

Kindheit und Jugend – Gefangen in der Isolation

Bereits als Kind verspürte ich eine tiefsitzende Angst vor Ablehnung. Irgendetwas an mir empfand ich als unattraktiv. Das wurde besonders sichtbar, wenn es darum ging, sich auf neue Gruppen einzulassen, etwa bei einem Kindergarten- oder Schulwechsel. Tatsächlich gelang es mir meistens nur schwer, Anschluss an die Gruppe zu finden. Ich fühlte mich unattraktiv, unsicher und war gehemmt, auf andere Gleichaltrige zuzugehen. Ich war praktisch wie gelähmt und völlig in mir selbst isoliert. Anstatt mich in der Freizeit mit Freunden zu treffen, war ich ein absoluter Stubenhocker und lebte in meiner eigenen Phantasiewelt. Diese Blockaden setzten sich auch in meinen Teenagerjahren fort, wo ich wohl einer der schweigsamsten Menschen überhaupt war. Meine Mitschüler reagierten auf meine große Verlegenheit mit Hänseleien. So kam ich schnell in die Rolle des Außenseiters. Dafür schämte ich mich sehr, sodass ich mit niemandem darüber sprach ‒ auch nicht zuhause. Stattdessen fraß ich alles einfach in mich hinein.

Die Ursachen für diese Ängste und Blockaden sind für mich nur schwer zu ergründen. Bestimmt aber wurden diese durch meine große innere Distanz zu meinen Eltern bekräftigt. Mein Vater, der sehr früh verstarb, war äußerst still, zurückgezogen und hat niemals irgendwelche Gefühle der Zuneigung gezeigt. Meine Mutter hingegen war recht dominant, hat mich aber nicht gerade darin bestärkt, endlich mal in die Welt der Männer aufzubrechen.

Phase des homosexuellen Erwachens – und der Ratlosigkeit

Bis Anfang 20 gelang es mir nicht, anhaltende Freundschaften zu gleichaltrigen männlichen Personen aufzubauen. Stattdessen plagten mich ständige Gefühle der Unterlegenheit, der Selbstabwertung und der Minderwertigkeit. In dieser Lage wünschte ich mir nichts sehnlicher als einen richtigen Freund! Als ich dann als junger Student in eine christliche Studentengruppe kam, erwachten in mir starke erotische Gefühle einem anderen jungen Mann gegenüber. Aber wie sollte ich nun damit umgehen? Ein Ausleben dieser homosexuellen Neigungen war für mich von Anfang an keine Option, da ich diese aufgrund meiner christlichen Glaubensüberzeugung und meines eigenen Erlebens nicht einfach nur als von der Natur gegeben akzeptieren konnte. Vielmehr brachte ich diese Empfindungen mit meinem Mangel an Nähe und guten Freundschaften in Verbindung. Aber wo konnte ich wirkliche Hilfe oder Rat erhalten? Ich wandte mich an meinen Pastor, welcher sofort eingestand, auf diesem Gebiet nicht bewandert zu sein, und mir deshalb auch nicht irgendeinen Rat erteilen zu können. Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass ich zu denen gehöre, die wirklich „schwul“ seien. Daher würden sich, so glaubte er, diese Empfindungen bei mir irgendwann schon wieder legen. Damit war ich wieder völlig auf mich allein gestellt. Entgegen seiner Vermutung nahmen diese Empfindungen dann nämlich mit dem Älterwerden nicht ab.

Aufbruch in die heilende Gemeinschaft

In meinem Bestreben, Hilfe zu bekommen, fand ich zum Glück zu einer Beratung, die mir kein Ergebnis vorschrieb. Hier habe ich endlich einen Ort gefunden, an welchem ich mich mit den existenziellen Fragen meines Mannseins verstanden weiß, und wo ich professionelle Hilfe in Bezug auf meine Beziehungsängste und Blockaden erhalte. Zudem helfen mir bis heute Angebote wie Einzelberatung oder Männergruppen, sowie die Kleingruppen der Bruderschaft des Weges, aktiv in authentische und heilende Beziehungen aufzubrechen und meine Beziehungsängster hinter mir zu lassen. Hier kann ich mit meinen Schwächen und Ängsten ganz unverstellt als Mann unter Männern sein.

Dieser Weg erwies sich auch als konstruktiv mit Blick auf die in mir brennende Frage, wie ich mit meinen homosexuellen Empfindungen umgehe. Denn ich entdeckte, dass ich über homosexuelle Phantasien versuche, die Gefühle von Minderwertigkeit und mangelnder Attraktivität zu kompensieren: Ich fühle mich in besonderer Weise zu solchen Männern hingezogen, die genau dort Stärken zu haben scheinen, wo ich mich selbst ablehne oder meine Unzulänglichkeiten verspüre. Beispielsweise haben diese Männer einen straffen Bauch oder sind unter Leuten sehr gesprächig und unverkrampft. Im Inneren fange ich nun an zu glauben, dass eine enge Freundschaft mit ihnen, alle meine Bedürfnisse nach Nähe und Freundschaft stillen würden. Somit fokussiere ich mich nur noch auf bestimmte idealisierte Typen, während ich alle anderen Männer, mit denen ich auch in Beziehung treten könnte, völlig abwerte. Doch in der Realität erlebe ich, dass mir diese idealisierten Personen keine dieser Bedürfnisse stillen können. Ich bleibe also allein und
verfrachte alle enttäuschten Freundschaftsillusionen in homoerotische Phantasien.

Durch meinen Aufbruch in authentische Gemeinschaft hingegen lerne ich nun, meine echten Bedürfnisse in Beziehungen einzubringen, etwa das Bedürfnis, mich anderen gegenüber mit meinen Stärken zu zeigen und an deren Leben in Höhen wie auch Tiefen Anteil zu nehmen. Folglich gelingt es mir immer besser, Beziehungen und Freundschaften zu gestalten. Somit höre ich auch auf, mich ständig vergleichen zu müssen, weshalb sexuelle Phantasien immer weniger eine Rolle spielen. – Denn was ich glaube, von einem anderen Mann zu brauchen, ist nicht Sex, sondern authentische Nähe, in der ich mich als ganzer Mann mit meinen Stärken und Schwächen verstanden weiß. Dieses Bedürfnis würde ich beim Sex mit einem Mann untergraben, denn dabei blende ich ja meine eigene Schwäche völlig aus und fokussiere mich stattdessen nur auf den hübschen Körper des Gegenübers, d.h., ich begegne ihm nicht als Mensch, sondern als Objekt meiner Begierde. Das ist für mich wenig authentisch.

Heute ist für mich insbesondere die Bruderschaft des Weges zu einem Ort geworden, wo ich mich ganz bewusst auf authentische und intensive Gemeinschaft mit Gott wie auch mit den anderen Brüdern einlassen kann und in meinem Mannsein wachse.