Peter swap_horiz

Ich wurde Anfang der Achzigerjahre als jüngster von vier Kindern geboren. Die älteste Schwester starb fünf Jahre vor meiner Geburt. Meine Eltern waren schon deutlich über vierzig und wollten keine Kinder mehr. Als ich dann erwartet wurde, wünschte sich meine Mutter unbedingt nochmals eine Tochter. Die anderen beiden Kinder waren Knaben. Leider wurde ich ein Sohn. Mein Vater war ein sehr distanzierter Vater. Er wuchs teilweise in Heimen auf und hatte eine furchtbare Kindheit, in der er wahrscheinlich fast keine Liebe erlebte. Er war aus diesem Grund gar nicht fähig, uns Kindern Liebe und Geborgenheit weiter zu geben. Aus diesem Grund entschied zuhause auch alles meine Mutter und erzog mich lange mehr als Mädchen denn als Junge. Im Urlaub gingen meine beiden älteren Brüder regelmässig mit meinem Vater fischen und ich musste bei meiner Mutter bleiben. Oder meinen Brüdern wurde gezeigt, wie man mit dem Beil umgeht – mir nicht. Das war ja viel zu gefährlich. Auch waren meine beiden älteren Brüder (einer 11 und einer 3 Jahre älter) viel aktiver draussen als ich. Sie sind handwerklich begabt und sportlich. Ich bin eher fein gebaut, handwerklich eine Niete, kletterte nicht gerne und war auch in der Jungschar – dem grossen Hobby meiner älteren Brüder – eher schlecht und unbegabt. Dafür las ich fürs Leben gerne und bin musisch begabt.

In der Pubertät bekamen wir zuhause Internet. Ich begann herumzusurfen und kam natürlich auch auf pornografische Bilder – von Frauen und Männern. Immer mehr schaute ich auf nackte Männer. Es faszinierte mich, sie anzuschauen und ihnen so nahe zu sein. So verstrickte ich mich immer mehr ins Internet und in die Illusion. Häufig befriedigte ich mich mehrmals täglich - besonders als ich von zuhause auszog und meine eigene Wohnung hatte. Ich war den Männern so irgendwie nahe, hatte ich doch im realen Leben eigentlich keine männlichen Freunde und wusste selbst gar nicht, wie ich mich in der Männerwelt bewegen soll.

Im realen Leben verliebte ich mich aber nie in einen Mann. Das war gar kein Thema. Aber es gab auch im realen Leben einige Männer, die ich idealisierte und mit denen ich erotische Träume hatte. Mehr aber passierte nie. Ich hatte um Zwanzig auch eine längere Beziehung zu einer Frau. Für mich war bereits damals klar, dass ich keine Beziehung zu einem Mann möchte.

Mitte Zwanzig kam ich in Kontakt zu einer Gruppe Männer, welche ebenfalls mit homosexuellen Gefühlen oder Fantasien zu kämpfen haben, sie aber als nicht zugehörig zu sich fanden. Und so fand ich Zugang zu einer Gruppe Männer, die ihrer sexuellen Orientierung fremd gegenüber standen und viele Fragen hatten. Nach und nach fand ich in dieser Gruppe echte Freunde. Das besondere aber war, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben verstanden wurde!

Durch Selbsthilfegruppe und ergebnisoffene Gespräche mit einem Berater, änderte sich so ziemlich alles in meinem Leben! Ich lernte Männer kennen, die sich wirklich für mich interessieren. Mir wurde bewusst, dass ich nie Nähe von meinen Eltern erfahren habe, am wenigsten von meinem Vater. Ich kannte Nähe von Männern gar nicht und musste mühsam erlernen, dass Männer sich stärkende und nicht nur sexuelle Nähe geben konnten.

Lange Zeit hatte ich auch das Problem, dass ich bei Stress immer wieder in Pornografie und Selbstbefriedigung abtauchte. Meist dann, wenn ich glaubte, von jemand zurückgewiesen oder verletzt worden zu sein. Ich ging ins Internet, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich in der Beziehung zu einem Menschen, Stress hätte abbauen können. Dort aber im Internet bekam ich vermeintlich Anerkennung für meinen Körper und für mein Sein, was mich vom Stress erlöste. Als ich schließlich in einer Gruppe von Männer lernte, meinen Stress in der echten Nähe zu einem Mann, der mich wirklich meinte, herunterzufahren, war das für mich ein echt großer Schritt.

Nach und nach bekam ich so immer mehr Lust, meine homosexuellen Streifzüge im Internet durch echte Nähe zu ersetzen. Und die fühlte sich gut an!

Vor einigen Jahren lernte ich eine Frau kennen und lieben. Seit Ende 2012 sind wir verheiratet. Ich könnte jetzt sagen, jetzt ist alles „gut“. Ich bin „unter der Haube“ und „Hetero“ geworden. Aber meine Geschichte gehört zu mir und ich bleibe ein Mann, der wahrscheinlich immer wieder in Situationen von Stress kommt und so hin und wieder vom Internet versucht wird. Was ich aber gewiss weiß: Ich will mich auch weiterhin für Männer einsetzen, denen es ähnlich geht wie mir. Denn egal wie der Weg am Ende aussieht. Echte Nähe ist besser, als jede Illusion.

Mir ist ganz wichtig zu betonen, dass ich nichts gegen Männer und Frauen habe, die ihre Homosexualität ausleben. Das ist deren Sache. Was mich aber stört und verletzt, ist, dass gerade viele Homosexuelle mir nicht die Freiheit lassen wollen, so zu leben, wie ich es für mich und mein Leben richtig halte. Eine Minderheit in der Minderheit wird diskriminiert.