Marcel swap_horiz

Ich, Marcel, schreibe hier über meine Geschichte. Ich habe über einige Zeit homosexuell gelebt. Ich wurde damit aber nicht froh. Grund dafür, dass ich es in keiner Beziehung lang aushielt. Grund war die unbedingte Suche nach dem idealen Mann mit dem perfekten Körper. Hatte ich einmal Sex mit ihm, so ließ ich ihn fallen oder in mir brach das Gefühl einer großen Unsicherheit aus. Denn eigentlich wusste ich nie und weiss bis heute nicht recht, was ein anderer Mann über mich denkt. Meist unterstelle ich ihm, dass er mich doof und eklig findet. - Alle Erkenntnisse und Erfahrungen von denen ich hier berichte, habe ich durch eigenständige Reflexion oder durch eine ergebnisoffene Beratung in mir entdeckt. - Um es vorweg zu nehmen: Ich bin ein Mann, der homosexuell empfindet. Ich erzähle hier nicht die Geschichte der Veränderung einer homosexuellen Orientierung. Denn bei mir hat sich nichts verändert. Ich erzähle hier meine Geschichte und warum ich heute selbstbestimmt darauf verzichte meine homosexuelle Orientierung auszuleben.

Beschämt und peinlich

Das zentrale Empfinden in Bezug auf mein Mannsein ist, Peinlichkeit. Ich bin peinlich. Diese Empfinden reicht zurück bis in meine Kindheit. Ich war das zweite Kind meiner Eltern und damit der Jüngste. Meine Mutter zeigte mir schon sehr früh, dass ich für sie eklig und peinlich bin. Sie lehnte meinen Körper ab und zeigte mir dies durch Beschämungen meines Intimbereichs. Besonders schlimm war dabei noch, dass sie es vor meiner Schwester tat. D.h. zwei Frauen blickten auf meinen männlichen Jungenkörper und zeigten mir so, dass ich peinlich und irgendwie eklig, also als Junge und damit auch als Mann nicht ok bin.

Dadurch entwickelte sich in mir das Gefühl, ich bin peinlich. Gleichzeitig wurden meine Mutter und viele andere Frauen bis heute zu Objekten, von denen ich eher Zurückweisung wahrnehme.

Da sich mein Vater im Hintergrund hielt und ohnehin sehr schwach und passiv war, vermittelte er mir eher, dass ich ihm egal bin. Er schützte mich noch nicht einmal dann, als ich ihm von der Beschämung durch die Mutter berichtete.

Zwar hörte die körperliche Beschämung mit ca. 7 - 8 Jahren auf, die psychische Beschämung ging aber über mein 14. Lebensjahr hinaus weiter. Schlimm war für mich, dass ich meiner Mutter absolut ausgeliefert war und dass die Beschämung nicht nur an meinem Körper „kleben“ blieb, sondern sich vielmehr bis zu einer hohen inneren Verunsicherung auswuchs. Oft wusste ich noch nicht einmal, ob meine Bedürfnisse ok sind. Wenn ich ehrlich bin, dann weiss ich es bis heute nicht.

Erlebnisse mit den anderen Jungs

Im Kindergarten traf ich auf andere Jungs, denen gegenüber ich mich unsicher und zurückhaltend verhielt. Eigentlich nahm ich meine ganze Umwelt gar nicht richtig wahr. Alles wirkte irgendwie verschwommen. Da gab es Jungs, die ich gar nicht wahrnahm, dann gab es Jungs, die ich sehr wohl wahrnahm, weil sie irgendwie gut aussahen.

Bereits als Vierjähriger dachte ich über solche gut aussehenden Jungs abends im Bett nach und überlegte, wie schön es wär‘, mit ihnen in Kontakt zu sein. Zum ersten Mal entstand damit für mich im großen Meer von Beschämung und Einsamkeit eine Insel, in der ich mich mit beruhigenden, positiven Gedanken beschäftigen konnte.

Früh - bereits in der Zeit des Kindergartens - betrieb ich Selbstbefriedigung. Dabei hatte ich die Vorstellung, dass es andere öffentlich sehen könnten. Wenn ich heute daran zurückdenke, dann fühlt sich das beinahe so an, als ob ich die öffentliche, erniedrigende Beschämung meiner Mutter in einen Akt der Lust und der Macht umgewandelt hätte: Denn auf alle Fälle war ja meine Mutter gegen die Form der sexuellen Betätigung.

Beginn der Pubertät

Mit Beginn der Pubertät trat das Empfinden, selbst peinlich und kein richtiger Mann zu sein, immer mehr in den Vordergrund. Ich beschäftigte mich auf der einen Seite viel mit meiner eigenen Körperlichkeit, auf der anderen Seite fand ich in mir so viel Unsicherheit, dass ich auf die Männlichkeit anderer Jungs förmlich starrte und mir diese - wenn ich es gekonnt hätte - sogar anziehen wollte. D.h. ich hatte den Wunsch, in die Haut eines mir männlich erscheinenden anderen Jungen zu schlüpfen, um selbst etwas männlicher zu werden.

Diese Phantasie war gleichzeitig von erotischen Gefühlen begleitet. D.h. die frühen Fantasien gegenüber Jungs wurden so zu homosexuellen Inszenierungen in meinem Kopf. Dort konnte ich mein peinliches Ich gegen das tolle Mannsein eines anderen eintauschen.

Weil mein Alltag oft sehr davon geprägt war, mich in allen möglichen Situationen beschämt und eklig zu fühlen und Menschen zu unterstellen, sie lehnten mich ab und fänden mich peinlich - aber auch, weil ich oft nichts mit mir und meiner Zeit anfangen konnte, kaum meine Bedürfnisse kannte, habe ich dann auch immer wieder Ablenkung gesucht in langen Chatgesprächen im Internet mit schwulen Männern. Manchmal kam es dann auch zu kurzen Treffen, um miteinander Sex zu haben. Bei all dem ging es mir nie darum, dass ich als Mann oder Mensch wahrgenommen oder gemocht werde. Dafür fand ich mich auch viel zu peinlich. Auch um den anderen Mann ging es mir nie. Ich wollte nur etwas Intensives mit dem Körper eines anderen erleben, um für eine kurze Zeit meiner ganzen Scham zu entkommen - wofür ich mich hinterher dann erst recht geschämt und umso erbärmlicher und ekliger gefühlt habe.

Mit 21 hatte ich dann auch mal eine Beziehung zu einem jüngeren Mann. Ihn mochte ich tatsächlich sehr. Hauptsächlich getragen war die Beziehung aber davon, dass ich ihn bewundert habe: er fand sich selbst toll, stand zu sich und seinen Wünschen und bewegte sich selbstbewusst unter anderen. Auch in dieser Beziehung ist es mir nie gelungen, mich wirklich zu öffnen und fallenzulassen, mich wirklich wohl und angenommen zu fühlen. Auch hier hat dann der Sex schnell das Miteinander stark dominiert. In all dem war schnell klar, dass auch diese Lösung und diese Freundschaft zum Scheitern verurteilt sein musste.

Warum will ich meine Homosexualität nicht ausleben

Weil ich all das weiß und ich erkenne, dass meine Homosexualität aus einer Verletzung geboren ist, und weil ich darin auch nicht den anderen Mann als Person will und suche, sondern nur einen idealisierten Teil von ihm - will ich meine Homosexualität nicht ausleben.

Im Gegenteil: ich arbeite daran, die jahrelang erlittene Beschämung zu überwinden. Was mir inzwischen auch schon etwas gelungen ist, so dass ich heute wenigstens in Beziehung zu anderen Männern leben, mich auch mal in einer Gruppe von Männern ohne Stress bewegen kann etc. Durch den jahrelangen Missbrauch, den ich erlitten habe, ist dieser Prozess aber sehr schwer.

Heute habe ich in der Bruderschaft des Weges und in der Gemeinde und beim Fußball tatsächlich gute Freunde gefunden, unter denen ich mich oft wohlfühlen kann. Und wenn mich wieder die Scham befällt, dann kann ich ihnen vertrauen und mir auch viel schneller als früher wieder Sicherheit verschaffen.

Die tiefe innere Traurigkeit und das Verlassensein und auch die große Langeweile, die mich oft befallen hatte, kenne ich so heute nicht mehr.

Ich merke und glaube inzwischen, dass ich in meiner Kirchengemeinde, bei meiner Arbeit und von meinen Freunden wirklich gemocht und geschätzt werde.

Wenn heute sexuelle Wünsche aufkommen, betrachte ich sie als Versuchung - denn das sind sie: sie wollen mich dazu versuchen, nicht ich selbst sein zu wollen, vor mir und der Gestaltung meines Lebens und meiner Freundschaften davonzulaufen. Und ich weiß, solche Ausflüchte vertiefen meine Scham und lösen sie nicht wirklich.

Wie hilft mir mein Glaube in diesem Prozess?

Für mich ist der Glaube sehr wichtig. Zum Beispiel hilft mir die Bruderschaft des Weges dabei, mich an einer Theologie fest zu machen, die mich zu meinem Weg motiviert. Sie macht mir deutlich, dass man Gott nicht nur durch die Ehe ehren kann, sondern auch dadurch, in dem man die Ehe heilig hält indem man einen guten Umgang mit der eigenen Sexualität einübt.

Da ich inzwischen römisch-katholisch bin, ist mir auch der regelmäßige Besuch der heiligen Messe, der Empfang der Eucharistie und die regelmäßige Beichte eine sehr wichtige Stütze auf meinem Weg. Nicht einfach nur zur Bekämpfung meiner Versuchungen. Sondern auch als echte geistliche Nahrung, die mich lehrt, auf die Liebe Gottes zu schauen und nicht auf meine Scham und meine Furcht vor Menschen.