Bernd swap_horiz

Mein Name ist Bernd und ich war lange Zeit auf der Suche nach meiner Idendität.

Lange Zeit meines Lebens fühlte ich mich unverstanden und habe mich auch selbst nicht verstanden. Als Teenager träumte ich davon mit den hübschen Mädchen aus der Klasse verheiratet zu sein, aber irgendwie war ich immer nur der gute Kumpel. Und wenn es doch einmal „ernst“ zu werden drohte, machte ich einen Rückzieher. Dabei gab es für mich immer „gute Gründe“. Irgendwie war es halt immer nicht die „Richtige“. Heute kann ich sagen, dass ich Angst hatte vor einer engeren Beziehung mit einer Frau, denn bei uns zuhause waren die Frauen (Mutter und Großmutter) tonangebend. Mein Großvater und mein Vater kamen kaum zur Erscheinung. Mein Vater hat sich zurückgezogen in seine Arbeit und seine praktischen Tätigkeiten – und ließ mich alleine zurück in einer Frauenwelt. Ich lernte die Sicht auf die Welt aus Frauenperspektive zu sehen. Männer waren derb, schmutzig und interessierten sich nicht für „schöne Dinge“ oder den Haushalt. Ich schaute auf sie herunter. Für ihre Interessen wie etwa Fußball hatte ich nur Verachtung übrig. Ich dachte vieles aus Frauenperspektive, war aber keine Frau – in der Männerwelt war ich nicht verankert und nicht mit ihr verbunden – und doch war ich biologisch gesehen ein Mann.

Ich hatte zeitlebens starke Selbstzweifel und Ängste, nicht zu genügen, nicht gut genug zu sein – sei es im privaten Bereich oder noch stärker im schulischen und später im beruflichen Umfeld. Ich hatte nie gelernt, Männern zu vertrauen, sie als Vorbilder zu sehen oder gar Teil der Männerwelt zu sein. Im Laufe meiner Teenagerzeit gelang es mir jedoch eine Art innerer Verbindung zu Männern herzustellen. Ich begann Männer zu idealisieren und spürte eine Anziehungskraft, die von Männern ausging. Allerdings musste ich sie mir in meiner Fantasie noch ein wenig zurecht bügeln, damit sie in mein Idealbild passten. So gelang es mir in meinen sexuellen Fantasien, eine Verbindung herzustellen, die mich für kurze Zeit Bestätigung und Annahme erleben ließ, bevor ich in das nächste Loch, die nächste Krise fiel. In der Bewunderung und Idealisierung des anderen ging ich auf – aber ICH war nicht vorhanden. Wo war ich? Wer bin ich? Eine Frage, die ich mir nicht beantworten konnte – ich wusste nur wie toll der andere war – ich existierte nicht.

Ich lebte in einer inneren Zerrissenheit. Zwischen erotischen Männerfantasien und dem nicht zu der Männerwelt dazugehören. Zwischen dem Wunsch nach einer Beziehung zu einer Frau und meiner Angst vor Frauen. Nach außen hin war ich fröhlich und ausgelassen, im inneren tobten meine Selbstzweifel. Bei jedem Fehler den ich machte geriet ich in eine innere Panik nicht mehr anerkannt zu sein, nicht mehr geliebt zu sein, entlassen zu werden etc. Es schwebte ständig ein Damokles Schwert über mir.

Mit Ende 20 ging es mir psychisch immer schlechter und ich beschloss Rat zu suchen. Es ist schade, dass ich den Weg in die Beratung nicht schon früher gefunden habe, denn so wären mir viele Jahre mit Depression, Unzufriedenheit und Gefühlen der Minderwertigkeit erspart geblieben.

Ich fand jemanden, der tatsächlich ergebnisoffen beriet – das darf es beim Thema Homosexualität ja eigentlich gar nicht mehr geben... Ich habe einen Platz gefunden, an dem ich gehört werde, an dem ich ernst genommen werde, an dem ich verstanden werde. Es war das aller erste mal in meinem Leben, dass sich jemand die Mühe machte, mich zu verstehen. Ich wusste, das ist der Weg heraus aus meinen Selbstzweifeln und Krisen. Ich wusste – da möchte ich mehr. Ich konnte Fragen stellen und mich meinen Fragen stellen. Ich hatte und habe die Gelegenheit an mir zu arbeiten. Ich durfte und darf immer mehr lernen, wer ich bin. Ich darf erfahren, dass ich kein anderer sein muss um zu genügen. Ich weiß heute, dass die Kraft, die Intelligenz und die Schönheit, die ich beim andern suchte, in mich selbst gelegt worden ist. Ich selbst bin vollständig und komplett, weil ich mittlerweile weiß wer ich bin! Ich brauche keine Vereinigung mit einem Mann, um mir ein bisschen von dessen Kraft etc. zu holen. Ich selbst bin wer!

Je mehr ich mich kennenlernte, je mehr ich anfing mir zu vertrauen, anderen Männern zu vertrauen, desto mehr änderten sich nach und nach meine sexuellen Gefühle. Ich merkte, dass ich mit meinen Gaben und mit meinen Schwächen ein Mann bin, der seinen Mann stehen kann. Ich merkte, wie meine homosexuellen Fantasien immer mehr verblassten und ich mehr und mehr wahr nahm, dass Frauen sich für mich interessieren und ich mich für Frauen interessiere. Ich kann sagen, dass das was in mir zerrissen war, zusammengefügt worden ist. Ich bin in der Männerwelt angekommen und ich habe mich von dort aus wieder auf den Weg in die Frauenwelt gewagt. Allerdings nicht um Teil der Frauenwelt zu sein, sondern um eine Frau zu erobern. Ich bin mittlerweile ein glücklich verheirateter Mann und Vater.

Ich bin froh, dass ich Gelegenheit hatte und habe, mir mein Leben anzuschauen und dass ich mich kennenlernen durfte. Ich möchte damit nicht sagen, dass jeder diesen Weg so gehen soll oder gar muss. Jede(r) darf so leben wie er/sie möchte – aber auch ich möchte so leben wie ich es mir in kleinen Schritten erschließen konnte. Dieses Recht, das Recht der Selbsterkenntnis, zur Reflexion der eigenen sexuellen Empfindungen, muss jedem offen stehen. Auch in Zukunft.

Bernd Mai 2014